"Es gibt zwei Kategorien von Tieren.
die eine glaubt, dass es zwei Kategorien von
Tieren gibt,
und die andere hat darunter zu leiden."
Richard David Precht
Neue alte Freunde
nach Inclusen/ Insekteneinschlüsse aus Bernsteinfunden, ca. 40.000 Jahre alt.
"Wenn es keine Insekten
mehr gäbe, bezweifle ich,
dass wir Menschen länger
als ein paar Monate
überleben würden. "
(Edward Wilson, amerik. Insektenforscher)
Inclusen / Einschlüsse
Konservierte Frösche, die dem Autoverkehr zum Opfer fielen, werden bei Sonia Itten zu "leider ungeküsst gebliebenen Prinzen", konserviert und getrocknet als Bildobjekt hinter Glasfenstern angeordnet, z.B. auf den Bildern der Reihe "Prinzendenkmäler".
Aber auch Libellenflügel, verschiedene Insekten, Münzen, Fragmente von Texten, manchmal nur ein Wort, Textilien, Computerteile, Steine, Schmuck und auch viel Undefinierbares findet das suchende Auge auf den Bildern von Sonia Itten.
Scheinbar kleine Kostbarkeiten, entrissen dieser Welt, eingebettet in Glas, künstlichen Bernstein, hinter kleinen Glas-Scherben oder unter Glas-Steinen, und so eröffnen sich Fenster zu den tieferen Ebenen des Bildgrundes:
Man kann hindurch spähen - in eine weitere fremde Welt. Damit ist nicht eine "andere Welt" gemeint, sondern eher eine ganz subjektive Entgrenzung aus den realen Beschränkungen unseres Hier und Jetzt.
Die Rätselhaftigkeit ihrer Bedeutung wird zum inneren Thema.
Die Assoziation zu urzeitlichen Bernsteineinschlüssen oder Reliquiengläsern taucht auf, man fühlt sich erinnert an antike Traditionen der Mumienverehrung, an heilige oder kultische Gegenstände oder Kleinodien aus den "Wunderkammern" früherer Herrscher.
Insekten mit ihrer geheimnisvollen - über ihren Tod hinaus häufig gänzlich unversehrten - feinen Eleganz bekommen im Bildkontext ein neues Leben und lassen für den Bruchteil von Sekunden die Grenze zwischen einem Jenseits und dem Diesseits wohlig verschwimmen und der uralte Menschheitstraum vom ewigen Leben klingt an.
Wer sich darauf einlassen kann, kann hier ein wenig das Gefühl von Unendlichkeit erleben.
Zu den Kostbarkeiten der Welt gehören für Sonia Itten auch die kleinsten Tiere, jedes ein unwiederbringliches Einzelstück der Natur - sie bekommen hier als Bildobjekt ein neues Leben.
Seit ihrer Kindheit sammelt die Künstlerin kleine tote Tiere am Wegesrand ein, es kann ein kleiner Käfer sein, eine Mücke oder ein Papierfragment mit einem Wort, ein Ohrring, ein Teil einer Spielzeugpuppe... durch ihre Verarbeitung bekommen die Dinge ihren Wert zurück - oder eine gänzlich neue, witzige, mythische, rätselhafte oder absurd anmutende Bedeutung.
Der künstlerische Wert dieser Einschlüsse liegt darin, dass wir erleben, wie nur wir selbst diejenigen sind, die etwas als "kultisch", "kostbar", "geheimnisvoll" erachten.
Und dass es in Wirklichkeit aber nichts weiter ist, als ein totes Insekt oder ein wertloser Gegenstand ohne weitere Bedeutung.
Diese Objekte machen klar, dass die Dinge nur allein von uns selbst mit ihrer magischen, mythischen, kultischen Bedeutung "aufgeladen" werden.
Durch die "Bezauberung" in der Betrachtung erleben wir die individuelle "Entzauberung" dieses überzeitlichen menschlichen Phänomens.
Und auch hier finden wir die treibende gedankliche Kraft hinter Ittens Produktion:
"Unwissenschaftlichkeit ist der Beginn von Inhumanität" (Karl Jaspers).
Und so kann man sich faszinieren lassen von der Erkenntnis, dass hier selbst eine kleine tote Mücke zu einem Plädoyer für Aufklärung und Humanismus werden kann.
Aus der Wassertonne gerettet
(Foto: S.Itten)