von pinselstrich und zeitengewebe
Von Farben überwuchert und umflossen finden sich Episoden, Epochen, Namen, ferne Menschen und ferne Zeiten, Länder, aktuelle Schlagzeilen und vielerlei Themen zusammen mit Gegenständen, feinen Bleistift- und Kohle-Zeichnungen, transparenten Aquarell-Verläufen, plastischen Objekten - und immer wieder Inklusen mit kleinen Tieren, meist Insekten, sowie Fundstücken und Fragmenten aller Art:
Texte, Zeichen, Schriften, Bilder, Fotos, Farben, Linien, Kratzer und Spuren - und all dies führen die Farben wie Geröll mit sich.
Zusammen verbindet es sich zu einer Art vielschichtiger analoger und dicht gewebter Collage, die uns im Kognitiven wie auch im Emotionalen gleichzeitig und gleichermaßen
fordert.
Hauptsächlich über zwei Zugänge findet die Künstlerin zu ihren Werken:
Von persönlichem Erleben und Emotionen getragen, erzählt sie in ihren Bildern von innen nach außen, im kreativen
Prozess immer weitere Kreise ziehend - bis dorthin, wo es auf einmal alle betrifft.
Oder manchmal geht es auch genau umgekehrt:
Von historischen Überlieferungen und Geschichten oder aktuellen Ereignissen ausgehend, arbeitet sich Sonia Itten Schicht für Schicht nach innen vor, bis dorthin, wo es uns in unserem eigenen Inneren
emotional berührt.
So entstehen Bilder als Ergebnisse intensiver Denk-Fühl-Arbeitsabläufe, bei denen die Erfassung der Welt mit dem künstlerischen Prozess Hand in Hand geht.
Das Gesamtwerk schließlich scheint auf seine eigene Weise dem "Weltdurcheinander" eine ganzheitliche Ordnung zu geben, die uns die Jahrhunderte erspüren lässt.
Zwar ist es nicht leicht, solche Erlebnis-Erfahrungen zu verbalisieren, aber sie müssen ja deshalb nicht unkommunizierbar bleiben, wie diese Bilder zeigen.
Auch ohne jede Berührung vermitteln die Bilder der Künstlerin Sonia Itten eine haptische Erfahrung und machen Zeit und Erinnerung zum sinnlich erfahrbaren Material.
Die vielen Schichten, aus denen sie bestehen, sieht man ihnen an und so sind sie schließlich selbst ein authentischer Beleg des Prozesshaften geworden.
Aber sie erklären die Geschichte ihres eigenen Geschaffenwerdens nie zu ihrem vorrangigen Inhalt.
Sonia Itten hat u.a. Archäologie studiert und so spielt diese als Werk-Prinzip immerzu mit, die vielen Farbschichten scheinen den zeitlichen Prozess geradezu zu reproduzieren:
Verschüttetes findet sich, Überdecktes, verloren Gegangenes, scheinbar Vergessenes, Rätselhaftes und manches kostbar Wirkendes - all dieses ruft bei der Betrachtung ein kraftvolles kulturelles Echo hervor.
Diese Arbeiten weiten unseren kleinen momentanen Augenblick gleichzeitig in beide Zeit-Richtungen für uns aus:
Sowohl bis in die Tiefen der Vergangenheit als auch in die Weiten der Zukunft.
Fastfood für die Augen sind diese Bilder nicht und auch nichts für Eilige:
Sie brauchen Menschen, die ihren Botschaften folgen und sich einladen lassen mögen in den Strom der Zeiten, in das unendliche Gedankenlabyrinth von Orten, Inhalten und vergessenen Geschichten, die wir wieder finden in unserem eigenen Gedächtnis und der darin aufgehobenen eigenen individuellen und kollektiven Vergangenheit.
Aus der Tiefe der Oberflächen heraus senden die Werke von Sonia Itten stille, aber eindringliche Signale und bieten sich den Menschen als Wegweiser an für die Suche nach einem eigenen inneren Pfad zu den immerwährenden Themen des Menschseins, um sich als Teil des großen ganzen Zeitgeschehens zu empfinden - und man könnte fast meinen, diese Bilder träumten für immer weiter.
(Dr. B. Wewerinck-Beeke, Kunsthistorikerin, Amsterdam, alle Rechte vorbehalten)
Inclusen / Einschlüsse
Konservierte Frösche, die dem Autoverkehr zum Opfer fielen, werden bei Sonia Itten zu "leider ungeküsst gebliebenen Prinzen", konserviert und getrocknet als Bildobjekt hinter Glasfenstern angeordnet, z.B. auf den Bildern der Reihe "Prinzendenkmäler".
Aber auch Libellenflügel, verschiedene Insekten, Münzen, Fragmente von Texten, manchmal nur ein Wort, Textilien, Computerteile, Steine, Schmuck und auch viel Undefinierbares findet das suchende Auge auf den Bildern von Sonia Itten.
Scheinbar ganz kleine Kostbarkeiten, entrissen dieser Welt, eingebettet in Glas, künstlichen Bernstein, hinter kleinen Glas-Scherben oder unter Glas-Steinen, und so eröffnen sich Fenster zu den tieferen Ebenen des Bildgrundes:
Man kann hindurch spähen - in eine weitere fremde Welt. Damit ist nicht eine "andere Welt" gemeint, sondern eher eine ganz subjektive Entgrenzung aus den realen Beschränkungen unseres Hier und Jetzt.
Die Rätselhaftigkeit ihrer Bedeutung wird zum inneren Thema.
Die Assoziation zu urzeitlichen Bernsteineinschlüssen oder Reliquiengläsern taucht auf, man fühlt sich erinnert an antike Traditionen der Mumienverehrung, an heilige oder kultische Gegenstände oder Kleinodien aus den "Wunderkammern" früherer Herrscher.
Insekten mit ihrer geheimnisvollen - über ihren Tod hinaus häufig gänzlich unversehrten - feinen Eleganz bekommen im Bildkontext ein neues Leben und lassen für den Bruchteil von Sekunden die Grenze zwischen einem Jenseits und dem Diesseits wohlig verschwimmen und der uralte Menschheitstraum vom ewigen Leben klingt an.
Wer sich darauf einlassen kann, kann hier ein wenig das Gefühl von Unendlichkeit erleben.
Zu den Kostbarkeiten der Welt gehören für Sonia Itten auch die kleinsten Tiere, jedes ein unwiederbringliches Einzelstück der Natur - sie bekommen hier als Bildobjekt ein neues Leben.
Seit ihrer Kindheit sammelt die Künstlerin kleine tote Tiere am Wegesrand ein, es kann ein kleiner Käfer sein, eine Mücke oder ein Papierfragment mit einem Wort, ein Ohrring, ein Teil einer Spielzeugpuppe... durch ihre Verarbeitung bekommen die Dinge ihren Wert zurück - oder eine gänzlich neue, witzige, mythische, rätselhafte oder absurd anmutende Bedeutung.
Der künstlerische Wert dieser Einschlüsse liegt darin, dass wir erleben, wie nur wir selbst diejenigen sind, die etwas als "kultisch", "kostbar", "geheimnisvoll" erachten.
Und dass es in Wirklichkeit aber nichts weiter ist, als ein totes Insekt oder ein "wertloser" Gegenstand ohne weitere Bedeutung.
Diese Objekte machen klar, dass die Dinge nur allein von uns selbst mit ihrer magischen, mythischen, kultischen Bedeutung "aufgeladen" werden.
Durch die "Bezauberung" in der Betrachtung erleben wir die individuelle "Entzauberung" dieses überzeitlichen menschlichen Phänomens.
Und auch hier finden wir die treibende gedankliche Kraft hinter Ittens Produktion:
"Unwissenschaftlichkeit ist der Beginn von Inhumanität" (Karl Jaspers).
Und so kann man sich faszinieren lassen von der Erkenntnis, dass hier selbst eine kleine tote Mücke zu einem Plädoyer für Aufklärung und Humanismus werden kann.